Industrie 4.0 und IIoT Startup Fallbeispiele – Hannover Messe Digital Days

Im Rahmen der Digital Days der Hannover Messe fand die Talkrunde zu Industrie 4.0 Use Cases statt. Zu den zentralen Themen gehören u.a. der Mehrwert von Daten, die im Bereich der Industrie 4.0 als wichtigster Wertschöpfungsfaktor im Mittelpunkt stehen. Außerdem geht es um Anwendungsfälle der Praxis von Startups und Mittelstand und dem Bereich Industrial IoT.  Ein weiterer Artikel auf unserem Blog thematisiert IIoT Startup Kooperationen. Hier finden Sie das vollständige Video zur Talkrunde.

Zu den Teilnehmenden gehört Philipp Becker, technischer Leiter von Vision Lasertechnik, der bereits 2007 die Projektleitung der ersten Smart Factory in Deutschland übernahm. Zudem unterrichtet er in Bielefeld und Hannover in den Bereichen Automatisierung, Digitalisierung und Robotik. Sigrid Rögner vertritt den mittelständischen Industriekamera Hersteller IDS Innovation und beschäftigt sich mit Innovation und Startup Kooperationen. Langjährige Erfahrung bei Siemens MindSphere im Bereich Industrial Internet of Things bringt Madeleine Mickeleit mit. Ihr Schwerpunkt liegt u.a. in der Entwicklung von industriellen IoT und Industrie 4.0 Anwendungen. Außerdem ist sie Gründerin von iotusecase.com und betreibt ihren eigenen „IIoT Use Case“ Podcast. Aus dem Bereich Kooperation und Startups ist Christoph Baier, Geschäftsführer von Ambivation vertreten, der mit seinem Unternehmen, Startups, den Mittelstand und die öffentliche Hand für erfolgreiche Innovations Partnerschaften verbindet.

Madeleine: Philipp, was waren Voraussetzungen für Euch, mit dem Thema Industrie 4.0 zu starten. Was muss ich als Unternehmen tun, um mich dem Thema zu widmen? 

Phillipp: Nicht alles lässt sich nur mit Technologie lösen. Es ist der digitale Mindset, der vor allem stehen sollte, noch bevor wir über Technologie sprechen. Wie möchte ich arbeiten? Wie arbeite ich heute? Wie möchte ich in der Zukunft arbeiten? Wie möchte ich die Mitarbeiter einteilen und was möchte ich produzieren? Das sind Fragen, die ich mir als erstes stellen muss. Dann wiederum, habe ich tatsächlich die Möglichkeit nach Technologie zu suchen? Die ist heutzutage verfügbar. Als wir 2007 angefangen haben, war noch nicht so viel verfügbar. Wenn man da jemanden gefragt hat, welche Technologien es gibt, mit denen wir unsere Maschinen vernetzen können, dann war da weite Leere. Es gab diese Technologien eben noch nicht. Darum sollte man anfangen, Visionen zu haben und schauen, wie man tatsächlich anfangen kann. 

Madeleine: Sigrid, möchtest Du aus deiner Perspektive noch etwas ergänzen? 

Sigrid: Wir als Kamerahersteller sind ja tatsächlich eher der Enabler der Industrie 4.0. In den letzten Jahren, auch bei den Startups, mit denen wir in zusammengearbeitet haben, war immer das Thema, wie man die Daten aus den Maschinen herausbekommt. Häufig sind diese veraltet und nicht jede Maschine hat die Möglichkeit Daten einfach abzugeben. Wenn diese bereits seit zwanzig Jahren in der Produktion stehen, oder keine Schnittstellenvoraussetzungen haben, hat man da erstmal nachzuholen. Das ist einer der ersten Punkte, zu schauen, wie man die Daten aus den Maschinen herausbekommt. 

Madeleine: Vielleicht gehen wir in den konkreten Anwendungsfällen gleich mal auf das Thema Konnektivität ein. Philipp, wo siehst Du da Ansätze, Anwendungsfelder oder auch geschäftliche Mehrwerte? 

Philipp: Bei der Betrachtung der Mehrwerte kommt es immer darauf an, was wir erreichen wollen. Es gibt viele Unternehmen, die z. B. ihre Taktzahlen optimieren möchten. Wir haben jetzt grade von Sigrid ein gutes Beispiel zum Stichwort Konnektivität bekommen, die Anbindung visueller Inspektion durch Industrierobotik. Nicht nur an den Maschinen, sondern auch so verbunden, dass wir sie mit Drittsystemen auslesen können. Generell ist es glaube ich so, dass die meisten Unternehmen ihre Probleme im Ablauf kennen. Ziel sollte es jetzt sein zu sehen, wie man mit bestehender digitaler Technologie und smarten Lösungen eben diese Probleme lösen kann. Da bietet sich heute zum Glück sehr viel an. Wir sehen uns bei den Use Cases auch nochmal problemorientiert an, wie datengetrieben Lösungen gefunden werden, die den Vorteil bringen den man sucht. 

Madeleine: Wie sieht es denn im ROI Bereich aus, kann man das irgendwie beziffern? Durch Prozessoptimierung kann man da ja Zeit sparen. Wenn ich jetzt z. B. neue Mitarbeiter einstelle und digitale Produkte und Services geschaffen habe, die ich bei deren Einarbeitung nutzen kann, sind das ja ehr softe Faktoren. Kann man den Return und Invest von solchen Produkten wirklich betrachten? 

Philipp: Ja, kann man. Man kennt seinen Prozess und weiß, was er kostet. Wenn dieser Prozess bekannt ist, dann weiß ich ganz genau, welche Zeit welches Werkstück in der Fertigung benötigt. Ich weiß, welche Stundensätze ich zur Berechnung vornehme und was dieses Werkstück kostet. Habe ich jetzt die Möglichkeit der optimierten Produktion, durch verbesserte Automatisierung, dann habe ich sehr schnell die Möglichkeit meinen ROI dabei auszurechnen. Also was mich die Initialkosten einmal kosten und über wie viele Werkstücke, und über welche Zeit ich diese danach kalkulieren kann. Das funktioniert in sehr vielen Bereichen. Ich warne immer davor zu sagen, dass die Digitalisierung die Jobs wegnimmt, dadurch dass wir durch den ROI Personal sparen. Das ist nicht der Fall, das hat auch die Vergangenheit gezeigt. Deswegen denke ich, grade für den Industriestandort Deutschland macht es durchaus Sinn soweit zu optimieren, dass wir den Standort hier auch halten können. Da bieten sich Technologien wie Automatisierung, Robotik, Digitalisierung etc. durchaus an. 

Madeleine: Sigrid, was ist Deine Meinung dazu? 

Sigrid: Ich bin der Meinung, dass auf einmal viele Sachen möglich sind, die vorher überhaupt noch nicht da waren. Die Kunden wollen kleinere Serien haben, bis hin zur losen Menge Eins, das ist durch die Digitalisierung überhaupt erst möglich. Hundertprozentige Qualitätsüberwachung war vorher auch nicht möglich, außer es stand tatsächlich jemand am Band. Das sind natürlich Themen, die vor der Industrie 4.0 noch gar nicht möglich waren. Natürlich ist das noch nicht abgeschlossen. Ich kann z. B. Sachen erkennen, die ich vorher so nicht erkennen konnte, da wären wir wieder beim Thema Bildverarbeitung. Insbesondere im Bereich Naturthemen, und Dingen, die wachsen gibt es nun ganz neue Möglichkeiten.  

Madeleine: Wenn ich jetzt mal in den Bereich der konkreten Anwendungsfälle aus der Praxis gehe, Philipp hast Du da mal ein Beispiel aus eurem täglichen Doing, was ihr auch mit Kunden zusammen entwickelt habt? Vielleicht hast Du ja mal einen Use Case für uns, wie Ihr da vorgeht? 

Philipp: Wir sind ein Maschinen- und Anlagenbauer. Im Falle zweier Gitterboxen mit Drehteilen hatten wir mal das Problem, dass diese als der LKW sie für den Versand abholen wollte, verschwunden war. Das passiert immer wieder mal, sie wurden an der falschen Stelle auf den falschen Logistik Weg geschickt und sind somit an der falschen Stelle angekommen. Das kann passieren, ist jedoch ärgerlich und kostet Geld. Zu dem Zeitpunkt haben wir dann gesagt, dieses Problem können wir technisch lösen. Wir haben eine technische Lösung gesucht und das über Asset Tracing hinbekommen. Heute ist es bei uns Standard geworden, dass jeder Transportbehälter, der z. B. über Bluetooth verfügt lokalisierbar ist. Dabei geht es nicht darum, wo in der Halle sich die Gitterbox befindet, sondern ob sie sich überhaupt noch in der Halle befindet. Wir haben hier jetzt heute das Thema Daten, da wird es interessant. Die ursprüngliche Idee ist gewesen, in jedem Moment auf Nachfrage zu wissen, wo die Kiste sich grade befindet. Der Vorteil daran ist, je mehr Daten ich habe, desto mehr Möglichkeiten habe ich. Ich kann z. B. mit Geofancing oder QS-Freigaben arbeiten.  

Madeleine: Das heißt konkrete Parameter, die Ihr trackt sind sozusagen Ort und Zustand dieser Kiste. Was sind Daten oder KPIS, die ihr im Feld dieser Boxen aufnehmt? 

Phillipp: Das sind Unterschiedliche. Zum einen existiert dann für diese Kiste ein digitaler Zwilling, ich kann sie aber auch digital sperren. Das ermöglicht es mir auch, den KPI oder ROI zu berechnen, sowie den tatsächlichen Durchfluss, den ich in meiner Produktion haben. Es bringt mir wenig, jede Kiste zu optimieren, wenn ich später den Workflow nicht abgebildet habe. 

Madeleine: Und diese Daten integriert Ihr dann in euer Manufacturing executive System? 

Philipp: Ja, das ist bidirektional. Die Kiste weiß, wo sie selbst sich grade, und was sich inhaltlich in ihr befindet, wohin sie als nächstes soll und wohin nicht. Zum Thema Daten, man muss immer Herr seiner eigenen Daten sein. Das System, das wir jetzt selber entwickeln, plant alle Assets und Ressourcen und macht das im Maschine Learning Rhythmus eigentlich selbstständig. Ein Problem, dass hier bspw. aufgetaucht ist war, dass der Zerspanungsmeister vom System keine Aufträge mehr bekam. Da muss man dann im Nachgang schauen, woran das liegt. In diesem Fall wusste das System nicht, dass der Zerspanungsmeister noch andere Aufgaben wie Mitarbeitergespräche etc. hat. Da es nach Dauer der Aufträge bewertet, hat es dann andere Mitarbeiter vorgesehen.

 

Madeleine: Also konkreter Mehrwert aus den Daten hier, Zeitersparnis. Sigrid hast Du auch ein Fallbeispiel aus eurer täglichen Praxis das Du uns mitgeben kannst? 

Sigrid: Wir haben seit Herbst eine Kamera auf dem Markt, die tatsächlich sehr intelligent arbeitet. Auf diese kann ich neuronale Netzwerke spielen, und dann kann man antrainieren, dass sie bestimmte Merkmale erkennen und unterscheiden kann. Ein zweites Beispiel haben wir grade mit einem Startup. Wir machen fast ausschließlich Hardware, die einzige Ausnahme ist bei uns Lighthouse, also die Klassifikation auf der Kamera. Für viele Sachen sind aber sogenannte System Integratoren nötig, dafür arbeiten wir grade mit einem Startup zusammen. Diese können z. B. auf einer Textilmaschine Anomalien auf dem Stoff erkennen. 

Madeleine: Das heißt der Kunde ist in dem Fall der Textilmaschinenbauer, der im Prozess diesen Stoff über die Maschine laufen lässt und eure Kamera nimmt im Endeffekt Bilder von diesem Stoff aus. Und die künstliche Intelligenz schafft es jetzt, durch so eine Anomalie Fremdstoffe zu erkennen, oder wie funktioniert das genau? 

Sigrid: Über viele Bilder wird antrainiert, wie so ein Stoff aussehen kann und dann lernt diese Kamera im Prinzip wie ein Kind, um es sehr vereinfacht zu sagen. Alles was ich als Mensch sehen kann, kann im Endeffekt auch die KI erkennen. 

Madeleine: Das heißt Mehrwert aus den Daten ist hier, dass ich sozusagen mithilfe der KI Dinge erkenne, die ich vorher nicht oder zu spät gesehen habe, bzw. die erst im Qualitätsmanagement aufgefallen sind? 

Sigrid: Genau, zu spät. Wenn ich im Test gleich Sicherheit habe, kann ich aussortieren und habe dann keine Fehler in der Fertigung mehr. Aber diese Anomalie Erkennung, das ist jetzt ein Startup, von dem ich rede. Man macht das nicht nur in dem Bereich, sondern kann das natürlich auf alle möglichen Themen übertragen. 

Madeleine: Philipp, Du kommst ja aus dem Umfeld der Robotik. Hast Du noch ein Beispiel, das Du uns aus diesem Bereich mitgeben kannst? 

Philipp: Ja, der Robotik Bereich ist momentan unheimlich interessant. Die klassischen Industrie Robotik Systeme von früher waren sehr schwer einzurichten und haben ihre Aufgabe oft über lange Zeit viele Jahre ausgeführt. Das hat sich jetzt durch kollaborative Robotik verändert. Worauf wir besonders stolz sind, ist das Unternehmen Yuanda robotics, dass hier aus Hannover kommt. Damit haben wir auf einmal Leichtbaurobotik, die günstig und schnell einzubauen ist. Aber es ist auch so, dass Robotik nicht alle Probleme löst. Insbesondere in Manufakturen, wo der Mitarbeiter noch schnell wechselnde Tätigkeiten in einer hohen Geschwindigkeit ausführt. Das ist etwas, da sind wir heute noch nicht so weit, was vielleicht auch gut ist, denn das ist durchaus eine Fähigkeit die wir uns als Mensch behalten dürfen. 

Madeleine: Wo setzt ihr diese Roboter dann ein? Du hattest ja ein paar Beispiele genannt, aber setzt Ihr die auch bei Euch selber ein? 

Philipp: Ja, wir setzen sie auch bei uns selber in zweiten und dritten Schichten ein. Unsere Produktion ist eigentlich nur einschichtig, aber indem an Maschinen, an denen tagsüber Menschen arbeiten abends Roboter übernehmen, kann man gut eine zweite Schicht bedienen. Das funktioniert hervorragend, wenn die Material Zu- und Abfuhr funktioniert. Das nimmt auch keinen Arbeitsplatz weg, und das gute an den Co-Bots ist, dass ich sie am nächsten Tag auch wieder menschlich bedienen kann. 

Schauen Sie hier die Talkrunde zum Thema Industrie 4.0 der Hannover Messe Digital Days in voller Länge.

Über Ambivation

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