„fuck CO2“: carbonauten und Arburg kooperieren bei Produktion von CO2-negativen Materialien
Sie arbeiten an der CO2-Neutralität Ihres Unternehmens? Wunderbar! Torsten Becker und das Team der carbonauten GmbH gehen aber noch einen Schritt weiter: Unter dem Motto „fuck CO2“ möchten sie ein globales, dezentrales Netzwerk von Fabriken entwickeln, die mithilfe von Altholz und anderen Naturmaterialien individuelle „NET Materials®“ (Negative Emission Technology) für Kunden aus der Industrie herstellen. Ziel ist es, dass diese Materialien nicht nur günstiger als konventionelle Kunststoffe sind, sondern sogar aufgrund der spezifischen Eigenschaften des eingebundenen Kohlenstoffs qualitativ hochwertiger. Wir haben mit Torsten Becker über seine Vision und die aktuellen Herausforderungen bei der Umsetzung der Idee gesprochen. Zudem gibt der Unternehmer Einblicke in die aktuelle Kooperation mit dem Spritzgussmaschinen-Hersteller Arburg.
Torsten Becker (links) und Co-Gründer bzw. Mitgesellschafter Christoph Hiemer
Torsten, vielen Dank, dass du dir für unser Gespräch Zeit nimmst! Wie würdest du im Elevator-Pitch beschreiben, was ihr von den Carbonauten macht?
Die Carbonauten GmbH entwickelt und produziert in dezentralen Fabriken industrielle Grundstoffe und Vorprodukte auf der Basis von Bio-Kohlenstoffen und Bio-Ölen.
Eure Produkte sollen nicht nur CO2-negativ sein, sondern auch günstiger und qualitativ hochwertiger als konventionelle Kunststoffe. Wie kann das funktionieren?
Wir gewinnen unseren Kohlenstoff aus Altholz und anderen holzigen Biomasseresten, die ansonsten verbrannt werden oder verrotten würden. Ein Beispiel sind unsere robusten Sitzschalen für die Deutsche Bahn. Statt teurem ABS-Kunststoff können wir die Sitzschalen aus einem nachhaltigen Granulat auf Basis von pulvrigem Biokohlenstoff und dem günstigen Kunststoff Polypropylen herstellen. Das Verbundmaterial, das dabei entsteht, ist nicht nur besonders günstig, sondern durch die positiven Eigenschaften des gebundenen Kohlenstoffs kratzfest, stabil, UV-beständig und dabei sogar leichter als die herkömmliche Sitzschalen. Zudem färbt der Biokohlenstoff die Sitzschalen schwarz, was den ansonsten erforderlichen umweltschädlichen Industrieruß aus Erdöl – also einer fossilen CO2-Quelle – überflüssig macht.
Um CO2-negativ zu agieren, ist es wichtig, dass wir in der Nähe unserer Kunden sind und lange Transportwege vermeiden. Deshalb planen wir aktuell ein Netzwerk von dezentralen Fabriken in verschiedenen Ländern. Da wir wissen, dass Kohlenstoff im Boden auch das Pflanzenwachstum begünstigt, möchten wir perspektivisch jeweils mit regionalen Pächtern Modellprojekte initiieren, in denen wir von uns produzierten Dünger auf Biokohlenstoffbasis verwenden. Die Biokohle verrottet dabei nicht, was sie zu einer CO2-Senke macht. So können wir unser eigenes Altholz produzieren und der Kreislauf schließt sich.
Das klingt wirklich nach großen Plänen. Aber wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Wir haben im November 2023 offiziell mit dem Bau der weltweit größten Karbonisierungsanlage für Entzug und Speicherung von CO2 in der Stadt Chibi in der chinesischen Provinz Hubei begonnen. Schon Anfang 2026 sollen dort jedes Jahr aus 100.000 Tonnen regionalem Altbambus etwa 30.000 t Biokohlenstoffe, 30.000 t Pyrolyseöle sowie 170.000 MWh thermische, grundlastfähige Energie produziert werden. Aus den Biokohlenstoffen entstehen gut 60.000 t Kunststoffgranulate. Das Bioöl geht als Grundstoff in die Chemie, der säurehaltige Teil kann in der Landwirtschaft als günstige Biostimulanz und umweltfreundliches Biozid eingesetzt werden.
In Deutschland soll noch dieses Jahr unser erster Standort in Eberswalde in Betrieb gehen. Zögerliche Investoren machen uns den Start hierzulande allerdings alles andere als leicht.
Wie meinst du das?
Für unsere Fabrik in China mit einer Investition von 120 Millionen Euro haben wir bereits 15 Millionen Euro gegen zehn Prozent Anteile an unserer dortigen Tochtergesellschaft für einen Zeitraum von fünf Jahren generieren können. Zudem gibt es mit der Agricultural Bank of China (ABC) bereits einen Letter of Intent, demzufolge wir auf eine Unterstützung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für den Ausbau unseres dezentralen Fabrik-Netzwerkes hoffen dürfen. Je Fabrik sollen 70 % von der ABC finanziert werden.
In Deutschland sind die Kapitalentscheider aus meiner Erfahrung oft konservative, grauhaarige Männer in blauen Sparkassenanzügen, die zusammenhängende physikalische Problematiken überfordern und am Ende Ideen der Vorzug geben, die nicht nachhaltig im Sinne der Ökologie und Ökonomie sind. Deutschland war einmal ein Land der Visionäre und Macher, insbesondere bei Hardware wie Maschinen, Anlagen, Verfahren und Materialien, die die Marke „Made in Germany“ geprägt haben.
Diese Zeiten scheinen vorbei, da risikoscheue Geldverwalter übernommen haben, also das Gegenteil vom Unternehmertyp Elon Musk. Und wir bräuchten mehr Frauen an den entscheidenden Stellen, wie Vaude-Chefin Antje von Dewitz, Kamala Harris oder selbst Ursula von der Leyen, die auf europäischer Ebene wirklich viel bewegt hat.
Was ist denn deine persönliche Vision?
Ich bin ursprünglich Produktdesigner und ein Anhänger der Bauhausphilosophie. Ich finde, gutes Design und Ökologie dürfen kein Luxus sein. Ich möchte gute Produkte herstellen, mit überragendem ökologischem Fußabdruck, die langlebig und gut recyclebar sind – und das in großen Mengen zu niedrigen Preisen. Ich möchte, dass wir bei der Landwirtschaft wegkommen von konventionellen Düngemitteln und Chemie und uns mit dem Kohlenstoff-Granulat auf ein Verfahren zurückbesinnen, das Amazonas-Völker als „Terra Preta“ schon vor hunderten von Jahren genutzt haben, um nährstoffarmen Boden fruchtbar zu machen. Damit lösen wir gleichzeitig das globale Altholzproblem. Ich möchte, dass das wir mit unseren Agra-Projekten ein Vorbild für andere Landwirte werden. Und auch die soziale Komponente ist mir sehr wichtig, denn „Bio“ muss das günstige Normal für alle werden.
Ihr kooperiert neuerdings mit dem Spritzgießmaschinen Hersteller Arburg. Wie kam es dazu?
Ein Naturköhler aus dem Schwarzwald hat mich kontaktiert. Er gewinnt Kohle auf ganz traditionellem Wege mit Holz, über das Erde geschichtet wird. Er fand unsere Technologie spannend und stellte auf persönlichem Wege den Kontakt zu Arburg her. Dort durften wir unsere Technologie und CO2-negativen Kunststoffgranulate vor Entscheidern vorstellen. Die hatten richtig Bock auf das Thema, echte Macher eben. Aus unseren Materialien wurden auf den hauseigenen Spritzgießmaschinen Musterteile hergestellt, die anschließende Labortests mit Bravour bestanden.
Wie ist eure Kooperation ausgestaltet?
Zur Maximierung der Wertschöpfung möchten wir unsere Fabriken mit Arburg-Maschinen bestücken und dort Teile für die Industrie sowie eigene Produkte herstellen. Das ist wirtschaftlich sinnvoll, da wir die bei unserem Karbonisierungsverfahren entstehende überschüssige Energie für die Maschinen nutzen können. Ich habe Arburg eine strategische Beteiligung an der Carbonauten GmbH vorgeschlagen, da dies für beide Seiten attraktiv ist und die Machermentalität passt. Das Arburg auch in China vertreten ist, passt perfekt zu unseren Plänen. Darüber hinaus möchten wir die Arburg-Technologie gemeinsam so weiter entwickeln, dass die Spritzgussmaschinen optimal auf die Eigenschaften unserer Materialien zugeschnitten sind, was wiederum ein Verkaufsargument für Arburg wäre.
Das klingt sehr spannend und wir werden auf jeden Fall weiterverfolgen, wie es bei euch vorangeht. Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Euer Motto lautet „fuck CO2“ – ist das nicht sehr provokant, wenn man mit eher konservativen Großkunden zusammenarbeiten will?
Für deutsche Augen und Ohren wirkt das wahrscheinlich provokanter als in den USA, wo das Wort „fuck“ in der Alltagssprache in jedem zweiten Satz auftaucht. Die Präventionskampagne „Fuck Cancer“ war dort vor Jahren ein riesiger Erfolg. Für uns stand im Vordergrund, dass sich unser Claim sofort im Kopf verankert. Mindestens 96 % der uns begegnenden Menschen lieben es, deshalb wollen wir unter diesem Motto 2025 eine Webshop mit sinnvollen Produkten umsetzen. Diejenigen, die schon das nicht ertragen können, sind für uns ohnehin nicht die richtigen Ansprechpartner.
Kontakt
Webseite: carbonauten.com
LinkedIn: Torsten Becker
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