Vertical Farming: Warum das Startup Lite & Fog das Potenzial hat, unsere Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie zu revolutionieren
Vertical Farming ist keine neue Idee. Visionen von Hochhäusern, an deren Fassaden sich Pflanzen emporranken, gibt es schon lange. Durchgesetzt haben sich solche Konzepte bisher nicht. Die Technik war schlicht zu unausgereift. Die Bewässerung zu kompliziert.
Mit dem Berliner Startup Lite & Fog könnte sich das ändern. Das 2019 gegründete Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, mit der Pflanzen in sterilen Umgebungen ganz ohne Erde, sondern auf Stoff und mithilfe von nährstoffangereichertem Nebel an hohen Säulen wachsen können. – Mit Ergebnissen, die erstaunen: 400-mal größere Ernteerträge und 95 Prozent weniger Wasserverbrauch gegenüber konventionellem Anbau und 50 Prozent Energiereduktion gegenüber klassischem Vertical Farming.
Pestizide werden bei Lite & Fog gar nicht benötigt. Erste internationale Kunden aus der Lebensmittel- und Pharmaindustrie sind bereits auf das Startup aufmerksam geworden. Und auch wir von Ambivation waren neugierig. Im Interview berichtet CEO Martin Peter, was seine Lösung und sein Geschäftsmodel von anderen Konzepten im Bereich Vertical Farming unterscheidet. Außerdem gibt er Einblicke in Kooperationen mit dem britischen Nahrungsmittelhersteller Bright Biotech und dem israelischen Pharmazieunternehmen Biobetter.
Martin, wie bist du auf die Idee zu Lite & Fog gekommen?
Ich habe Physik und später Malerei in Leipzig studiert. Dort habe ich im Rahmen des Urban Gardening Projektes „Annalinde“ erstmals mit dem Pflanzenanbau in Säulen experimentiert – eigentlich nur, um im Rahmen meines Kunststudiums zu zeigen, wie verrückt Pflanzen wachsen können. Durch einen Aufenthalt in Israel, wo noch viel mehr junge Menschen Startups gründen als hier Deutschland, wurde mir klar, dass sich daraus eine Geschäftsidee machen lässt.
400-mal mehr Ernteerträge als in konventionellem Ackerbau, viel weniger Energie- und Wasserverbrauch und null Pestizide – wie schafft ihr das?
Wie vervielfachen die Anbaufläche, indem wir die Höhe nutzen. Aus 1000 qm² werden mit unseren 9 m hohen Säulen z.B. 75.000 qm². Theoretisch wären auch 18 m hohe Säulen möglich. Unser Wasser bleibt im Kreislauf und geht nicht ins Grundwasser. Und durch das sterile Umfeld haben wir keine Probleme mit Insekten und Krankheiten. Dadurch sind wir nicht auf Pestizide angewiesen. Unsere Pflanzen wachsen auf Stoff und Nebel, der mit Nährstoffen angereichert ist. Und tatsächlich mögen Pflanzen dieses stabile Umfeld. Schon eine kurze Dürreperiode wirkt sich negativ auf den Ertrag aus. Bei uns kommt das nicht vor.
Das klingt faszinierend, aber auch unheimlich – diese Künstlichkeit, die Tatsache, dass ihr das quasi besser macht als die Natur, in der eigentlich alles so gut aufeinander abgestimmt ist, wenn wir Menschen nicht eingreifen.
Das stimmt nicht so ganz. Es ist eher so, dass wir die Natur imitieren. Es gibt z. B. Pflanzen, die am Fuß von Wasserfällen auf Bäumen wachsen und deren Wurzeln quasi in der Luft hängen. Das ist ein ganz ähnliches Prinzip: Die Pflanzen ernähren sich durch den mit Nährstoffen angereicherten Nebel des Wasserfalls.
Spannend! Ihr habt bereits erste Kunden. Kannst du uns darüber etwas berichten?
Gern. Vorweg ist es wichtig zu wissen: Unser Ziel ist es nicht, Salat anzubauen, sondern Maschinen zu verkaufen. Der Focus unserer bisherigen Kunden liegt vor allem im Bereich Molecular Farming. Dabei geht es darum, Pflanzen mit besonderen Proteinen und Eigenschaften herzustellen. Unser erster Kunde war das britische Unternehmen Bright Biotech, dass sich auf die Herstellung von Stoffen für die Produktion Laborfleisch spezialisiert hat – das heißt Fleisch, das ohne Tierleid und ohne Nachteile für die Natur im Labor gezüchtet werden kann. Für diesen Prozess wird ein bestimmtes Protein benötigt, das bisher noch 80 Millionen Euro pro Gramm kostet. Mit unserer Technologie helfen wir dem Unternehmen genveränderte Tabakpflanzen mit diesem Protein zu züchten.
Zudem habt ihr auch Kunden in der Pharmaindustrie.
Ja, z.B. das israelische Unternehmen Biobetter, das daran arbeitet, Pflanzen mit Insulin herzustellen. Im Moment nur Insulin für Tiere, aber theoretisch geht das auch für Menschen. Dieses Insulin muss dann nicht mehr gespritzt werden, sondern kann z. B. einfach über eine Schüssel Salat aufgenommen werden. Auch für Unternehmen aus der Kosmetikbranche ist unsere Technologie interessant. Viele Entscheider wissen heute noch gar nicht, welche Inhaltstoffe sich leicht und nachhaltig über Pflanzen aus unseren Anlagen herstellen lassen.
Wie bekommt ihr bei solchen Kunden den Fuß in die Tür?
Tatsächlich ist die Molecular Farming Branche noch sehr klein. Wir sind viel auf Messen und inzwischen sehr gut vernetzt. Zudem geben wir interessierten Unternehmen immer die Möglichkeit, unsere Technologie erst einmal zu testen, um zu schauen, was möglich ist, bevor sie sich entscheiden.
Was sagen denn eigentlich Landwirte zu eurer Technologie?
Einige sind schon skeptisch. Viele haben aber auch verstanden, dass es so wie jetzt in der Landwirtschaft nicht weitergehen kann. Der Klimawandel mit extremen Wetterlagen und langen Trockenperioden stellen die Bauern vor große Herausforderungen. Hinzu kommt die Verseuchung der Böden durch Dünger, zunehmender Platzmangel und vieles mehr. Uns ist sehr wichtig, zu vermitteln, dass wir Unterstützer für Landwirte sein möchten – und keineswegs Konkurrenz. Mitunter können wir Landwirten sogar Abnehmer mitliefern – z.B. Pharmaunternehmen, die bestimmte Pflanzenstoffe benötigen. Ich denke, wir sollten alle mehr miteinander reden.
Hast du zum Schluss noch einen Tipp für andere Startups.
Ja, genau schauen, auf welchen Bereich es sich lohnt, zu fokussieren! In Deutschland können Nahrungsmittel aktuell noch sehr günstig hergestellt werden. Energie ist hingegen teuer. Durch unseren Fokus auf anspruchsvolles Molecular Farming ist unser Geschäftsmodell profitabel.
Kontakt:
Webseite: www.liteandfog.com
LinkedIn: Martin Peter
Über Ambivation
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