Dekarbonisierung: Startup alcemy ermöglicht die Herstellung nachhaltiger Betone

Der CO2-Fußabdruck der Baubranche ist aktuell leider noch riesig. Das Startup alcemy will mit seinen Produkten für Zement- und Betonhersteller dazu beitragen, dass sich das in Zukunft ändert. Dafür hat das Team eine einzigartige Künstliche Intelligenz entwickelt, mit der die Herstellung klinkerarmer und CO2-reduzierter Zemente und Betone engmaschig und laufend überwacht werden kann. Wie es dazu kam und welche Erfahrungen das Team bei der Betonage im 32. Und 33. Stockwerks  im Büroturm EDGE East Side Berlin sammeln durfte, berichtet Hoang Hoang Nguyen, Head of Communications & Sustainable Construction bei Alcemy, im Interview mit Ambivation.

Hallo Hoang, aus welcher Problemstellung heraus wurde Alcemy gegründet?

Unser Ziel ist es, zur Dekarbonisierung der Baubranche, genauer genommen der Zement- und Betonindustrie beizutragen. Aktuell ist diese für acht Prozent des weltweiten CO2-Verbrauchs verantwortlich. Man kann es sich kaum vorstellen, aber jeden Monat entstehen gerade neue Gebäude im Umfang der Stadt New York. Das passiert nicht nur in den Industrienationen, sondern insbesondere in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Mit unserer Qualitätssteuerungssoftware auf KI-Basis glauben wir daran, dass wir unseren Kunden im Zement und Beton ein wirksames und mächtiges digitales Tool an die Hand geben können, um ihre Produkte CO2-ärmer und nachhaltiger zu gestalten.

Kannst du uns ein bisschen zum Hintergrund eurer Gründer berichten?

Gern, unser Gründer Leo Spenner ist mit dem Baustoff aufgewachsen, seine Familie produziert seit 96 Jahren Zement und Beton und das Unternehmen gehört zu den größten Herstellern in Deutschland. Unser zweiter Gründer Dr. Robert Meyer hat vor alcemy bei einem großen deutschen Mobilitätsdienstleister das Maschine-Learning Team zur automatischen Preissteuerung aufgebaut. Bei alcemy haben die beiden ihre Kompetenzen dann vereint. Industrie-Know-How traf sozusagen auf technische Expertise. Insbesondere Leos Netzwerk und sein Familienunternehmen hat uns viele Türen geöffnet und Möglichkeiten zur Entwicklung unserer Produkte gegeben. Wir sind aber zu 100% unabhängig von Spenner und haben auch viele weitere Kunden.

Mit eurer Software können Hersteller Betone herstellen, die 50-70% CO2 einsparen. – Wie gelingt euch das?

Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Also, Beton besteht in erster Linie aus Wasser, Sand, Kies, Zusatzmitteln und Zement. Zement ist der wichtigste Bestandteil im Beton, leider aber auch für den immensen CO2-Verbrauch verantwortlich. Genauer genommen ist der Übeltäter vor allem der Zementklinker, dieser wird bei 1400 Grad im Drehofen gebrannt, wobei in einer chemischen Reaktion CO2 emittiert wird. Das Problem ist, dass Zementklinker enorm wichtig ist, da er wie eine Art Klebstoff funktioniert und eine ganz entscheidende Rolle für den Beton erfüllt.

Mithilfe unserer Software können Hersteller grundsätzlich erstmal ihre Produktion besser und engmaschiger überwachen. Sie können damit die Qualitätsschwankungen beim Zement und Beton reduzieren. Bei nachhaltigen Betonen wird aber das volle Potenzial möglich: Hier können Hersteller Betonsorten produzieren, die deutlich weniger Zementklinker beinhalten, aber dennoch die benötigten Qualitätseigenschaften erfüllen.

Welche Substitute nutzt ihr für den Zementklinker?

Man kann verschiedene Substitute nutzen: Viele Hersteller verwenden Hüttensand, ein Nebenprodukt aus der Stahlindustrie oder Flugasche, die bei der Kohleverstromung entsteht. Das Problem ist, dass diese Materialien kaum verfügbar sind. Damit werden wir nicht systemisch dekarbonisieren können. Deshalb setzen wir bzw. unsere Kunden einen Schwerpunkt auf Kalksteinmehl. Ein Zementklinker-Substitut, das sehr CO2-arm ist und gleichzeitig in großen Mengen vorhanden ist. Bisher haben sich die Hersteller immer davor gesträubt, da der Einsatz dieses Substituts durchaus herausfordernd ist. Genau hier kommen wir aber ins Spiel. Mit unserer Software enablen wir die Produktion dieser schwierigeren Zemente und Betone.

Wie habt ihr eure Technologie entwickelt?

Die Baubranche ist generell eher ein wenig konservativ. Zement- und Betonhersteller würden normalerweise niemals die notwendigen Daten herausgeben. Insofern wäre die Entwicklung unserer Lösung ohne den Zugang zum Unternehmen von Leos Familie kaum möglich gewesen. Dort konnten wir auch zum ersten Mal ausprobieren, ob unsere Software-Lösung wirklich funktioniert. Es ist uns aber sehr wichtig, zu betonen, dass wir nicht von Spenner Herkules finanziert sind und komplett unabhängig agieren. Inzwischen gehören 10 Zementwerke und 20 Transportbetonwerke zu unseren Kunden.

Beim Büroturm EDGE East Side Berlin wurden mit eurer Hilfe zwei Obergeschosse mit CO2-reduziertem Beton gebaut. Wie kam es dazu?

Das war mehr oder weniger Zufall. Jemand aus unserem persönlichen Netzwerk arbeitet bei EDGE. Was man dazu wissen muss: Projektentwickler haben inzwischen großen Druck, Gebäude möglichst nachhaltig zu gestalten, sowohl was den Bauprozess als auch was den Gebäudebetrieb betrifft. Deshalb sind wir dort auch sofort auf Interesse gestoßen. EDGE hat uns da gewissermaßen die Türen geöffnet und alle Beteiligten an einen Tisch geholt.

Welche Besonderheiten bringt euer Beton mit?

Das Wichtigste zuerst: Er ist 55% CO2-ärmer als Referenzbetone! Gleichzeitig gibt es einige Besonderheiten, auf die sich beteiligte Firmen einstellen müssen, vor allem die eventuell langsamere Frühfestigkeitsentwicklung. Wir beraten Unternehmen gern dabei, den Bauprozess so zu planen, dass es nicht zu einer Verlängerung einzelner Bauphasen kommt und sind uns auch sicher, dass Bauunternehmen in Zukunft nur noch mit solchen Betonen arbeiten werden.

Warum wurden beim EDGE nur zwei Stockwerke mit eurem Beton gebaut?

Das Problem sind bestehende Normen, die verhindern, dass wirklich deutlich klinkerreduzierte Zemente und Betone eingesetzt werden dürfen. Wir haben uns aber einem kleinen Trick bedient und sind innerhalb der Norm geblieben. Wir wissen aber auch, dass wir nachhaltige Betone in die massenhafte Anwendung bringen müssen. Daher sprechen wir mit vielen Projektentwicklern und Bauunternehmen, die bereit sind mit unserer Software produzierten nachhaltigen Beton in ihren Bauprojekten einzusetzen.

alcemy Gründer Dr. Robert Meyer und Leo Spenner

Gab es für euch besondere Learnings?

Unserer wichtigstes Learning war, dass unser Produkt maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Beton erfolgreich eingesetzt werden konnte. Gleichzeitig ist nochmal klar geworden, wie entscheidend es ist, alle Beteiligten einzubeziehen, jedes einzelne Glied in der Kette. Nur wenn alle überzeugt sind und an einem Strang ziehen, kann so ein Projekt gelingen.

Ihr seid auch schon in den USA unterwegs? Kannst du uns dazu etwas berichten?

Wir dürfen unseren Kunden dort noch nicht nennen. Aktuell sind wir in einem Zementwerk in der Pilotphase.

Es gibt verschiedene Ansätze, um Bauen nachhaltiger zu gestalten. Denkst du, dass sich diese in Zukunft eher noch stärker ergänzen, oder wird sich in der konservativen Baubranche eher eine Verfahrensweise durchsetzen?

Man muss immer den Kontext einbeziehen. Nicht jedes Gebäude sollte aus Beton bestehen. Aber für Straßen, Brücken und allgemein Infrastrukturprojekte oder Hochhäuser ist er aktuell unverzichtbar. Schwarz-weiß-Malerei hilft uns hier definitiv nicht, sondern Offenheit für neue Wege. Holz und Beton sind z. B. Materialien, die sich wunderbar ergänzen können. Es gibt kein Entweder-Oder, sondern der Mix macht es.

Kontakt

Webseite: https://alcemy.tech/

LinkedIn: Hoang Anh Nguyen

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