Vorsorgen statt nachzahlen – Berliner Startup Industrial Analytics bewahrt Turbomaschinen vor Ausfällen

Wenn Turbomaschinen ausfallen, hat das für große Unternehmen ernsthafte Konsequenzen: Ganze Maschinenstränge stehen plötzlich still. Es kommt zu Produktionsausfällen, die mit hohen Kosten verbunden sind. Kein Wunder, dass die Nachfrage nach digitalen Monitoring-Systemen wächst! – Doch nur wer über tiefgreifende Fachkenntnisse verfügt, wird diesem Bedarf gerecht. Dem Berliner Startup Industrial Analytics ist genau das 2018 gelungen. Inzwischen hat sich das Team eine Finanzierung gesichert, ist von sieben auf 14 Mitarbeiter angewachsen und durfte sich im April 2019 über den „Deep Tech Award“ sowie aktuell über die Data Challenge „EVONIK Polymer Performance Predictor” freuen. Wir haben mit Gründer Dr. Richard Büssow über den „TurboMonitor“ und die Zusammenarbeit mit großen Konzernen wie Vattenfall gesprochen.

Dr. Richard Büssow

Richard, die wenigsten unserer Leser kennen sich mit Turbomaschinen aus, die etwa in Raffinerien, Chemieanlagen oder Kraftwerken zum Einsatz kommen. Wie muss man sich euren Analyseprozess zur frühzeitigen Fehlererkennung vorstellen?

Uns geht es um eine ganzheitliche Betrachtung. Wir werten zum einen akustische Informationen und Schwingungsdaten aus. Dabei greifen wir auf eine ganz spezielle Lösung für Wellenschwingungen zurück, mit spezifischen Sensoren und Analysen. Zum anderen schauen wir uns aber auch die Prozessinformationen ganz genau an und arbeiten mit einem thermodynamischen Modell des Prozesses. Aktuell gibt es unseres Wissens nach in Deutschland aber auch international kein anderes Startup, das sich derart tiefgehend mit dieser Materie beschäftigt.

Das heißt, eure Kunden melden sich bei euch, wenn die Anlagen bereits stillstehen oder sie ihre Maschinenstränge vorsorglich überprüfen lassen wollen?

Genau. Kürzlich hatten wir z.B. eine Anfrage von einem Hersteller, der im Produktionsprozess Dampfturbinen nutzt. Dort gab es einen Defekt, der bereits Produktionsausfälle zur Folge hatte. Im Laufe unserer Analyse stellte sich dann heraus, dass es schon längere Zeit ein Problem mit der Maschine gab, das aber niemandem aufgefallen war. Mit unserer Lösung hätte man den Produktionsstillstand verhindern können.

Kannst du uns das bitte mal näher erläutern?

Wir können eine Überwachungslösung einrichten, die als ein Service in der Cloud läuft und die Maschine so im Blick behält bzw. sich bei Abweichungen meldet. Wir installieren in diesem Zuge auch eine Hardware, die die Signale der vorhandenen Sensoren digitalisiert. Wer frühzeitig auch kleine Veränderungen erkennen will, kommt an diesen Schwingungsdaten nicht vorbei.

Und wie kam es dazu, dass ihr euch als Startup so einem speziellen Thema widmet?

Sechs von uns haben vorher für ein Maschinenbauunternehmen gearbeitet, das Turbomaschinen herstellt, d.h. Kompressoren, Dampfturbinen und Gasturbinen. Zudem erhalten wir Unterstützung von Prof. Tobias Friedrich vom Hasso Plattner Institut. Ich habe mich bereits in meiner Zeit als Angestellter detailliert mit dem Markt auseinandergesetzt und mitbekommen, dass die Nachfrage nach solchen Überwachungslösungen steigt. Doch dieser Markt wurde nicht bedient, weil sehr spezielle Kenntnisse dafür nötig sind, um an die wesentlichen Informationen zu gelangen. Die IoT-Lösungen diverser Startups gingen dafür nicht tief genug und die Großkonzerne waren nicht ausreichend agil, um sich damit auseinanderzusetzen. – Das war unsere Chance!

Ihr stellt nicht nur eine Software sondern auch die nötigen Hardware-Komponenten bereit. Wie ist euch die Finanzierung gelungen?

Wenn man noch ganz am Anfang steht, ist es schwierig, eine Finanzierung zu bekommen. Wir erhielten zunächst eine kleinere Summe vom Hasso Plattner Institut und haben den Rest gemeinsam mit Freunden und unseren Familien aus Eigenmitteln gestemmt. Nach den ersten großen Pilotprojekten konnten wir jetzt zum Glück eine Finanzierungsrunde mit der Senovo Capital abgeschlossen. Der Betrag wurde  von der Investitionsbank Brandenburg gespiegelt.

Als Laie stellt man sich vor, dass Turbomaschinen, die tagein und tagaus laufen, öfter mal Fehler aufweisen. Wie sind Betreiber wie Vattenfall damit umgegangen, bevor es eure Lösung gab?

Es ist schon so, dass Betreiber von Turbomaschinen eigene Schwingungsdiagnosen unternehmen. Doch unsere Lösung geht noch tiefer. Zudem können wir die Monitoring-Teams in Unternehmen wie Vattenfall entlasten. Wir reduzieren den manuellen Aufwand und erreichen eine Detaillierung, die ansonsten aufgrund der Datenmenge nicht möglich wäre.

Wie seid ihr an Kunden wie Vattenfall herangetreten?

Unsere Ansprechpartner sind typischerweise die Verantwortlichen für die Instandhaltung. Dabei konnten wir anfangs auf bereits bestehende Kontakte zurückgreifen. Im Grunde machen ja nicht nur Firmen Geschäfte miteinander, sondern vor allem Menschen mit Menschen. Inzwischen erreichen wir unsere Kunden aber auch über Marketingmaßnahmen.

Und wie sah euer Pilotprojekt mit Vattenfall aus?

Für Vattenfall haben wir unsere Lösung prototypisch umgesetzt. Wir überwachen einen Erdgasverdichter im Heizkraftwerk Berlin Mitte. Die Pilotphase ist nahezu abgeschlossen und wir führen bereits Gespräche, um diesen Service auf andere Standorte auszuweiten.

Das klingt ja super! Was war bei diesem Projekt entscheidend für den Erfolg?

Alle sprechen im Moment von Digitalisierung. Aber wichtig ist, dass die Lösungen wirklich praxistauglich sind und diejenigen den Mehrwert sehen, die im Alltag mit den Turbomaschinen interagieren. Der Vorteil war für uns bei diesem Projekt, dass wir gleich mit den Menschen zu tun hatten, die mit den Maschinen arbeiten. Wenn man über die Digitalisierungseinheiten in Unternehmen ein neues System installieren möchte, kann es ansonsten nämlich auch passieren, dass man über einen  Proof of Concept nicht hinauskommt.

Junge Gründer berichten uns häufig, dass die langwierigen Entscheidungsprozesse in etablierten Unternehmen sie in Schwierigkeiten bringen. Ging es euch ähnlich?

Wenn man bereits eine ganze Reihe an Projekten bespielt, ist das mitunter gar nicht so schlimm, weil dadurch mehr Vorbereitungszeit bleibt. Aber ganz am Anfang kann das natürlich schon schwierig sein. Bei uns gab es eine Situation, bei der zwischen der mündlichen Zusage eines Entscheiders und dem Eintreffen der schriftlichen Auftragsbestätigung in unserem Briefkasten neun Monate vergangen sind. Das ist für ein Startup viel Zeit.

Welche Vorteile bietet die Kooperation mit etablierten Unternehmen?

So eine Kooperation zu initiieren, ist für beide Seiten mit einem gewissen Aufwand verbunden. Deshalb ergibt es für die Konzerne wenig Sinn, die Kooperationspartner ständig zu wechseln. Startups, die bewiesen haben, dass sie mit den Prozessen und den hohen Anforderungen zurechtkommen, dürfen sich deshalb meistens über Folgeaufträge freuen.

Etablierte Unternehmer sind manchmal unsicher, ob sie mit Startups kooperieren sollen. „Schließlich weiß man nicht, ob es die im nächsten Jahr überhaupt noch gibt…“ lautet eine weit verbreitete Annahme.

Ja, solche Gespräche kennen wir durchaus. In unserem Fall ist das inzwischen weniger problematisch, weil wir uns eine Finanzierung sichern konnten. Grundsätzlich gilt: Die Ansprechpartner müssen sich fragen, ob sie lieber mit einem etablierten Partner zusammenarbeiten möchten, oder mit jemandem, der innovativ und schnell ist – dann sind sie bei Startups bestens aufgehoben.

Fotos: Robert Strube

Webseite: industrial-analytics.io/de

Linkedin: Richard Büssow

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